Europäische Literaturtage 2012
„Festung, Trauma und Traum Europa“.
Bestandsaufnahmen und Visionen eines literarischen Kontinents
21. bis 23. September 2012 in Spitz an der Donau
Auch 2012 wird Schloss Spitz wieder zu dem literarisch-kulturellen Ort in der Wachau. Internationale Autoren diskutieren mit Verlegern, Kritikern und Wissenschaftler u.a. über das Thema:Festung, Trauma und Traum Europa – Bestandsaufnahmen und Visionen eines literarischen Kontinents, namhafte Autoren lesen aus ihren aktuellen Büchern und ein Spitzer Winzer präsentieren seinen Festivalwein. Nachdem 2012 zum ersten Mal internationale Gäste und Autoren in dem Donauforum über aktuelle Fragen des Literaturbetriebs diskutierten, gehen die Autoren in diesem Jahr zum ersten Mal in die Schulen und diskutieren mit Schülern über die Frage: Was Europa für uns ist? Außerdem wird die Ausstellung „Donau“ der Fotografin Inge Morath in einem Pre-Opening zu sehen sein. Das Tagebuch der Europäischen Literaturtage 2012 führt in diesem Jahr Lena Gorelik( Autorin, Petersburg/ München).
Das Generalthema der Europäischen Literaturtage 2012 lautet:
„Festung, Trauma und Traum Europa“
Die gegenwärtige Krise Europas wirft nicht nur Fragen nach Schuldenwirtschaft, Kreditwürdigkeit und Inflation auf. Als Krise des demokratischen Kapitalismus verlangt sie nach politischen Grundsatzentscheidungen einer Kultur, die auf kleinteiligen und vielschichtigen Traditionen baut und zugleich den Anspruch stellt auf eine führende Rolle in der globalisierten Welt.
Spielt die Literatur in diesem Selbstfindungsprozess überhaupt eine Rolle?
Die Generalfrage der Europäischen Literaturtage 2012 wird aus dem Blickwinkel eines Schriftstellers beleuchtet, der Europa idealtypischer nicht vertreten könnte – Aris Fioretos, halb griechischer, halb österreichischer Herkunft, lebt und arbeitet in Stockholm und Berlin, und fragt sich, was es mit „Festung, Trauma und Traum Europas“ auf sich hat.
Eine moderne Völkerwanderung ist im Gange. In ihrem Buch Gestürmte Festung Europa beschreibt die Journalistin Corinna Milborn, wie Europa seit Jahren eine Festung gegen Einwanderung baut: an den Außengrenzen mit Stacheldraht und Mauern, im Inneren durch unsichtbare Barrieren. In den geheimen Flüchtlingslagern in Marokko, den Slums der „Illegalen“ in Spanien, den Ghettos von Muslimen in Paris und London oder Berlin hausen Menschen am Rand der europäischen Gesellschaft, deren Spaltung mehr und mehr voran schreitet.
In diesem Zusammenhang erscheint eine Diskussion über die Idee Europa bei den Europäischen Literaturtagen 2011 aufschlussreich. Auf die Frage, was Europa für sie bedeute, antworteten mehrere AutorInnen, Europa bedeute für sie nichts, oder aber, Europa sei am Verschwinden. Auffallend an diesen Statements ist, dass die abschätzigen Äußerungen über Europa von
Intellektuellen aus wirtschaftlich prosperierenden, zumeist nordwestlichen Ländern Europas stammten. Hingegen bekundeten AutorInnen aus dem südöstlichen Europa ihr Entsetzen über die Zurückweisung des europäischen Traums. Für sie bedeutet Europa die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Die Festung Europa stellt sich als ein Bollwerk gegen außen wie auch als Graben quer durch diesen Kontinent dar. Der Reichtum soll nicht geteilt werden. Europa als Solidargemeinschaft ist für die Vermögenden eine unmögliche Vorstellung, damit einher geht Verleugnung jeder Idee von Europa. Nationalbewusstsein paart sich mit Globalisierungsphantasien. Avancierte westliche Kultur stellt sich gegen zurück gebliebene südöstliche Kleinteiligkeit. Europäische Kultur definiert sich als eine Spielart von angloamerikanischer Kultur, in die auserlesene Individuen aus anderen Sprachen Eingang finden.
"Gibt es Freiheit nur als Hoffnung jener, die sie nicht haben können?", wie es Peter Bichsel formuliert. Oder, wie Yuri Andruchowytsch bei den Europäischen Literaturtagen 2011 anmerkte, „Europa ist eine Utopie.“ Lässt sich nur ansatzweise erahnen, wie dieser Prozess der Spaltungen wie der ersehnten Einigung weiter verläuft?
Das Donauforum 2012, der Think Tank der Europäischen Literaturtage, diskutiert folgende Fragen:
Überlebensstrategien
Mit den Entwicklungen im Verlagswesen einher gehen sollte ein Überdenken der wirtschaftlichen Grundlagen von Autoren im Zeitalter der elektronischen Medien. Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma will die Kulturflatrate bzw. Tauschlizenz bilden – demnach sollte gesetzlich der private, nicht kommerzielle Gebrauch von digitalen Inhalten kostenfrei erlaubt werden, im Gegenzug aber Autoren bzw. Rechteinhaber über eine Zusatzgebühr für Inhaber eines Internetanschlusses finanziell entschädigt werden. Der Berliner Medienwissenschafter Volker Grassmuck schlägt einen Probelauf vor, um Erkenntnisse über ein solches Vergütungsmodell zu gewinnen. Copyright oder Copyleft - wie entwickelt sich das Ringen um eine Neuorientierung rund um die Urheberrechte von AutorInnen im digitalen Zeitalter?
Die Literatur und das Geld
Ob Stiglitz, Krugman oder Häring und Storbeck – die Bücher von Wissenschaftern der Ökonomie boomen. Sie alle kommentieren klug die gegenwärtige Krise, schlagen Rezepte für deren Lösung vor. Woran Europa krankt – so es dies tut – beantworten sie dennoch nicht, hinterlassen eher ratlos ein Publikum, das sich fragt, ob wirklich alles Übel nur an unintelligenten Politikern liegen könne. Der Ökonomie-Nobelpreis kürt eine neue Form von Fantasyliteratur. Was erklärt uns die Ökonomistenprosa über unsere Lebenswelten und deren Krisen?
Welche Sprache sprechen die Femmes et Hommes de Lettres im Angesicht der Krise?
In den laufenden Berichterstattungen über die größte Krise Europas seit Bestehen der Europäischen Union fällt auf, dass die allgemeine Politikverdrossenheit zu einem Synonym für Europa wurde. Die gesellschaftspolitische und kulturelle Dimension Europas wird zum Vermächtnis von Akteuren, die aus dem alten Europa effizientes Humankapital generieren wollen. Darin scheint kein Platz für Menschen mit Visionen von Gesellschaft und Kultur. Da Europa seine Visionen verliert, fehlen ihm auch die Frauen und Männer der Schrift, die als Advokaten der Gebildetheit im öffentlichen Disput agieren.
Haben die Femmes und Hommes de lettre ausgedient und nichts mehr beizutragen zum zukünftigen Europa? Wer nimmt vor welchem persönlichen, politischen, sprachlichen Hintergrund an diesem Diskurs teil, und wer nicht, und warum? Bilden sich neue intellektuelle Formationen, von Frauen und Männern getragen, die sich der Irrwege von vielen Homme de lettres der Vergangenheit bewusst sind, und eben doch Stellung beziehen wollen in Bezug auf die Gestaltung unserer zukünftigen Lebenswelt?
LIterarischer Think Tank
Literarischer Think Tank im Herzen von Niederösterreich
Touristisch gesehen hat Spitz natürlich schon lange einen wohlklingenden Namen. Den Europäischen Literaturtagen ist es aber gelungen, diesen Ort im Weltkulturerbe Wachau über touristische Sehnsuchtsbilder hinaus einmal im Jahr als Zentrum der Europäischen Literaturlandschaft zu positionieren.
Freies Denken und künstlerisches Schaffen bedürfen eben nicht zwingend urbaner Zentren. Vielmehr gilt es für die Politik, allerorts – ob in einer Stadt oder einer kleinen Landgemeinde – ein kulturpolitisches Klima zu schaffen, in dem die Arbeit von Künstlern und Kulturveranstaltern integraler Bestandteil des gesellschaftspolitischen Lebens ist. Allein in der Wachau findet man neben vielen volkskulturellen Aktivitäten u.a. mit der Kunstmeile in Krems, den vielen international renommierten Festivals wie dem Donaufestival, Glatt & Verkehrt oder den Internationalen Barocktagen Stift Melk eine Vielzahl an höchst unterschiedlichen Beispielen, die davon zeugen, dass wir in Niederösterreich seit langem dieses kulturpolitische Selbstverständnis leben.
Ich wünsche den Europäischen Literaturtagen 2012 einen spannenden und weiterführenden Dialog und hoffe, dass von Spitz und der Wachau auch heuer wieder interessante Impulse für die europäische Literaturszene ausgehen werden.
Landeshauptmann Dr. Erwin Pröll